Ansichten eines Schamanen

Udo Vukovics, der Begründer des Nagual-Schamanismus, im Interview.

 

Warum heißt Eure Richtung Nagual-Schamanismus?

 

Der Name Nagual-Schamanismus spricht zwei wichtige Elemente unserer Tätigkeit an:
Unsere zentrale Beschäftigung mit Schamanismus und die magische Qualität des Unfassbaren, des Nagual, des Offen-Verborgenen in der Welt.

Immer wieder einmal bin ich aber zeitweise mit dem Namen auch manchmal ein bisschen unzufrieden. Nicht, weil er etwa unpassend wäre, sondern weil ihn offenbar inzwischen andere Leute verwenden, um andere Arten schamanischer Tätigkeit oder Ausbildung zu beschreiben. Dabei kam ich ursprünglich auf Nagual-Schamanismus als eine Art Arbeitstitel für meine eigene schamanische Arbeit. Die von Castañeda beschriebenen Arten schamanischen Tuns wurden als Nagualismus bezeichnet, das war also sozusagen der Gattungsbegriff für Schamanen, die mit dem Nagual arbeiteten. Nagual-Schamanismus war dann meine eigene Entwicklung dessen, was ich in dieser Hinsicht von den Spirits bekommen hatte.

Jetzt, nach dem Auftreten einer eigenen Art Trittbrettfahrer, von denen Einzelne Begriffe und ganze Sätze meiner Websites für ihre Zwecke ausschlachten, sodass ich diese Sätze und Begriffe aus unserem Nagual-Schamanismus als Beschreibung gänzlich anderer Arbeitsweisen wiederfinde, und Andere auch den Namen meiner Richtung für sich entwenden, bin ich zur Verwendung eines ganzen Reigens anderer Namen für unsere Richtung übergegangen, ohne deshalb den Begriff Nagual-Schamanismus fallenzulassen. Denn immerhin sind wir schon seit mindestens fünfundzwanzig Jahren hier in Europa genau unter dieser Bezeichnung zu finden. Doch es gefällt mir jetzt auch, uns Mana-Magischer Nagualschamanismus zu nennen, vor allem dann wenn es um unsere magische Schule oder um die Entwicklung des eigenen spontan auftretenden Charismas durch schamanisches Wissen geht. Oder ich beginne, das Kraftzentrum Schamanismus in den Vordergrund zu rücken. Manchmal nütze ich noch die Möglichkeit, den Titel Der europäische Traum von Jaguar und Adler, der sich auf unseren alten Mythos als Grundlage unserer schamanischen Tätigkeit bezieht, als Begriff für unsere Arbeit als Schamanen zu verwenden. Trotzdem ist Nagual-Schamanismus ein guter Name, weil er die Wichtigkeit des Nagual in unserer Arbeit anspricht.

Lassen wir die Sache mit den Namen einmal zur Seite. Was meinst Du mit dem Begriff Nagual?

 

Das Wort Nagual entstammt der Indianersprache Nahuatl und bedeutet ursprünglich soviel wie Nacht oder auch die Nachtseite der Dinge.

Die Vorstellung ist dabei, dass jedem Wesen neben der fassbaren Wirklichkeit, die es auszumachen scheint, eine andere, geheimnisvolle Seite innewohnt, die ihm magische Kraft verleihen kann.

Durch dieses Konzept hat sich die Tür zu einer verborgenen Wirklichkeit geöffnet, die wir nach Carlos Castaneda als zweite Aufmerksamkeit bezeichnen können.

Diese Nagual-Seite oder kurz gesagt das Nagual einer Person, einer Pflanze, eines Steins etc. befindet sich nicht in derselben Dimension, in der wir unser Bewusstsein alltäglich nützen, sondern in einer mit dieser verschränkten zweiten Dimension, welche sich durch eine andere Art der Nutzung unseres Bewusstseins ergibt.

Das geniale an Castanedas Sprachverwendung ist dabei, dass sowohl die Art des Bewusstseins, also die veränderte Art des Wahrnehmens, die dabei nötig ist, die Welt auf magische Weise zu sehen, als auch die Dimension der Welt, welche sich beim Einlassen auf diesen speziellen Bewusstseinszustandes ergibt, mit dem gleichen Begriff zweite Aufmerksamkeit bezeichnet werden.

Das macht deutlich, dass im Schamanismus subjektives und objektives Welterleben nicht voneinander getrennt sind, in dem Sinn, dass ein verändertes Wahrnehmen eine veränderte Wirklichkeit um uns herum erzeugen kann.

Natürlich setzt diese Wahrnehmungs- und Weltverschiebung bestimmte Fähigkeiten und auch den Zugang zu schamanischem Wissen voraus.

Zum Nagual einer Person, eines Tieres, einer Pflanze, einer Sache oder eines Naturwesens tritt also das Nagual als allgemeiner Begriff für die Qualität der Welt, welche unfassbar ist und bleibt, sich jedem Konzept in ihrem Kern entzieht und daher weder gedanklich noch emotional, weder energetisch noch abstrakt wesenhaft erfassbar wird.

Wir können also Konzepte über das Nagual machen, welche uns sogar, wenn sie stimmig sind und dadurch auch funktionieren, einen pragmatischen Umgang mit dem Unfassbaren erlauben, wir können aber das Unfassbare nicht mit den Mitteln des Fassbaren fassbar machen. Es bleibt unfassbar.

Was können wir denn dann mit dem Nagual anfangen, wenn es doch unfassbar ist und bleibt?

 

 

Das Nagual ist, obwohl es nicht mit unseren normalen Sinnen fassbar wird, ein integraler Bestandteil dieses Universums, nämlich dessen unfassbare Seite.

Das Nagual als kosmische Kraft kann vom Schamanen angerufen und rituell genützt werden.

Die Wahrnehmung der zweiten Aufmerksamkeit in und um uns kann trainiert werden.

Ein wesentlicher Aspekt unserer Ausbildung in Nagual-Schamanismus beschäftigt sich mit diesem Training erweiterter Wahrnehmungsfähigkeiten.

Die Zwischenräume eines Zaunes, der Raum zwischen den Ästen eines Baumes, die Weite des Himmels oder die Unbegrenztheit eines Flusses sowie auch der Abgrund zwischen Berg und Tal sind Beispiele für Phänomene, durch die wir dem Nagual begegnen können.

Für den schamanisch Erfahrenen ist es auch möglich, seine Wahrnehmung der Welt jederzeit bewusst zu verändern und in die zweite Aufmerksamkeit einzutreten.

Dem Begriff Nagual für das Unfassbare steht der des Tonals, des Fassbaren, gegenüber, welcher für uns weit näher an der von uns normaler Weise wahrgenommenen Wirklichkeit liegt.

Nagual und Tonal können auch als zwei Schwingungen universeller Existenz wahrgenommen werden, zwischen denen der Geübte zu wechseln vermag.

Schwingung ist hier jedenfalls nicht physikalisch und nicht energetisch zu verstehen, sondern als Vorstellung zweier verschiedener dynamischer Daseinsaspekte, die in der magischen Wirklichkeit existieren.

Du hast weiter oben das Nagual auch als das Offen-Verborgene bezeichnet. Was meinst Du damit? Und was meinst Du genau mit magischer Wirklichkeit?

 

Das Nagual ist das Offen-Verborgene in dem Sinn, dass es grundsätzlich innerhalb unserer Wahrnehmungsmöglichkeit liegt, es aufzufinden und uns auf seine Schwingung einzulassen. Das liegt daran, dass wir selbst offenbar einen doppelten Seinscharakter besitzen: Wir sind zugleich Wesen des Tonal und des Nagual, haben also einen Anteil an Unfassbaren in uns, oder, befinden uns gleichzeitig im Unfassbaren wie im Fassbaren.

Deshalb ist das Nagual für unsere Wahrnehmung erreichbar, obwohl es nicht in unseren üblichen Sinneskanälen auf übliche Art auftritt.

Verborgen ist das Nagual, weil wir uns durch unsere Identifikation mit dem fassbaren Anteil unseres Selbst und genauso mit dem fassbaren Anteil der wahrnehmbaren Welt darauf konzentrieren, das Unfassbare zur Seite zu lassen und seine Bedeutung nicht erkennen.

Mit magischer Wirklichkeit meine ich, dass Energie, Materie, Konzepte und Vorstellungen grundsätzlich alle zur Welt des Tonal, des Fassbaren, gehören. Magie tritt meiner Ansicht nach dort auf, wo sich verschiedene Dimensionen des Universums berühren oder durchdringen, und andere Aspekte der Wirklichkeit hervortreten als sie uns im normalen Alltagsbewusstsein begegnen. Dabei können auch physikalische oder kausale Gesetze und Regeln zeitweise aufgehoben sein, weil die „Physik“ des einen Aspekts des Universums, der einen Dimension, und die „Physik“ der anderen Dimension unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten folgen können, wodurch an ihrer Schnittstelle nicht die üblichen physikalischen Gesetze gelten. Diese Vorstellung von Schnittstellen ist natürlich im Grunde falsch, weil sich die verschiedenen Dimensionen durchdringen und nicht nur lokal berühren, und es sich auch nicht um physikalisches Durchdringen handelt, sondern um eine Verschiebung in der Auffassung der Welt, welche dann auch zu einer Verschiebung in den Zusammenhängen der Wirklichkeit führt.

Was meinst Du mit Verschiebung der Zusammenhänge der Wirklichkeiten? Das klingt kompliziert.

 

Ich gebe gern ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung. Im Rahmen meiner langjährigen Kampfkunstausbildung hatte ich die Gelegenheit, mit meinem damaligen Lehrer und ein paar meiner Kollegen einen sogenannten Meister der Unverwundbarkeit in den Bergen Sumatras aufzusuchen.

Dieser demonstrierte die Wucht und Schärfe seiner Machete, indem er mit ihr mühelos einen festen Rattanstab durchschlug, und sich danach die Haare am Unterarm abrasierte. Dann begann er damit an seiner eigenen Halsschlagader zu säbeln, dann an seiner Körperseite und schließlich an seiner Zunge. Dasselbe demonstrierte er an seinem fünfjährigen Sohn. Danach fragte er uns, vielleicht nur aus Gründen der Höflichkeit, ob jemand von uns sich ebenfalls für diese Demonstration zur Verfügung stellen wollte. Ich war nach kurzer Beratung mit meinen schamanischen Spirits dazu bereit und er säbelte kurz danach mit der Machete an meinem Hals und meiner Körperseite.

Druck und Schärfe der Waffe waren spürbar, sie durchdrang jedoch nicht meine Haut.

Hätte in diesem Moment die normale wissenschaftlich erfassbare Realität für uns gegolten, wäre ich nicht lebend aus dem Zimmer gekommen.

Eine ähnliche Vorführung eines chinesischen Meisters des Chi, mit einem Speer, der gegen seinen eigenen Hals gedrückt wird, sah ich später einmal im Fernsehen vor laufender Kamera. Sein Helfer schlug dem Praktizierenden noch zusätzlich mit einem Baseballschläger fest auf den Rücken. An der Stelle, an der die Spitze des Speeres ansetzte, kann der Mensch anatomisch keine muskuläre Panzerung ausbilden. Der Speer müsste also den Hals durchstoßen und zu schweren oder tödlichen Verletzungen führen.

Stattdessen bog er sich und fiel dann zu Boden. Die Stimme der Ansagerin im Hintergrund betonte dass es dafür keine wissenschaftliche Erklärung gäbe. Das ist natürlich zu kurz gegriffen. Tatsächlich beweisen solche Phänomene nicht mehr und nicht weniger als dass die Wissenschaft die Welt keinesfalls vollständig zu beschreiben imstande ist.

Ob es dabei um magische oder energetische Wirksamkeit geht, welche die normale Physik zur Seite schiebt, ist hier nicht so wichtig wie diese Idee der Verschiebung der Zusammenhänge der Wirklichkeit. In meiner schamanischen Arbeit habe ich immer wieder mit solchen Vorgängen der Wirklichkeitsverschiebung zu tun und ich habe sie auch immer wieder einmal selbst demonstrieren dürfen.


Den Begriff Nagual hast Du jetzt ein Stück weit erklärt. Was verstehst Du eigentlich unter Schamanismus?

 

Schamanismus ist ursprünglich nichts anderes als eine bestimmte Art von Naturmagie. Die Natur wird dabei als spirituell und magisch belebt angesehen, das heißt, jede Erscheinung, jedes Wesen, jeder Teil der Natur hat aus schamanischer Sicht ein lebendiges spirituelles Bewusstsein, wenn auch nicht im menschlichen Sinn.

Die Idee unserer wissenschaftszentrierten Kultur, dass wir als moderne Gesellschaft solche Vorstellungen durch die Bemühungen der Aufklärung schon hinter uns gelassen hätten, weisen wir als Schamanen zurück. Es handelt sich bei diesen Vorstellungen einer geistig belebten Natur nämlich nicht um Relikte einer noch unwissenden Gesellschaft, welche sich natürliche Phänomene nur magisch zu erklären wusste, sondern um das Vermächtnis eines Wissens, das sich die Menschheit Stück für Stück seit der Steinzeit angeeignet hatte und das durch eine gewisse Überheblichkeit in der Betrachtungsweise unserer modernen Zeit jetzt verloren zu gehen droht.

Magisches Wissen über die Natur und ihre Zusammenhänge kann uns auch heute absolut helfen und uns dazu führen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Wie schon im letzten Absatz erwähnt, ist die Idee der Wissenschaftsgläubigen, dass nur die wissenschaftlich erfahrbare Welt die Wirklichkeit ausmachte, nicht zutreffend. Darüber hinaus ist diese Vorstellung, wenn sie noch dazu so ausgeführt wird, als wäre jegliche darüber hinausgehende Wahrnehmung der Wirklichkeit nur Einbildung, weder wissenschaftlich noch rational sondern entspringt einem Wunsch einfacher (nämlich für die Wissenschaft immer zugänglicher) Erklärbarkeit einer in ihrem Wesen offenbar viel komplexeren Welt. Wenn die Wissenschaft dann sogar zur Hüterin der Realität gemacht wird, in dem Sinn dass nur noch das evidenzbasiert wissenschaftlich bewiesene real sein kann, wird eine bestimmte neomaterialistische Weltanschauung unter der falschen Flagge angeblicher Wissenschaftlichkeit über alle anderen Sichtweisen der Welt gestülpt. Das spricht Menschen wie mir schließlich die eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen als nicht existent ab. Dafür gibt es natürlich auch keine wissenschaftliche Grundlage, es ist nur eine Art Glaubenskrieg.

 

Wie betrachtet denn nun der Schamane die Welt, wenn er sie nicht mit den Augen der Wissenschaft sieht?

 

Die geistig lebendige Natur ist bewusst, kann mit uns in Interaktion treten und reagiert auf uns. Sie hat, wie schon oben beim Begriff des Nagual beschrieben, eine magische und unfassbare Seite.

Es gibt natürliche Systeme von Gleichgewicht, die den kosmischen Kräften zu Grunde liegen, welche die Natur durchwirken.

Der Schamane ist ein Meister der Balance, des Spürens und Hervorbringens oder Wiederherstellens von Gleichgewicht in der Natur und zwischen Natur und Menschen, genau so wie er meisterhaft Ekstase beherrscht.

Ganzheitliche Wahrnehmung führt nicht zerlegend vom Ganzen zu seinen Teilen sondern von geteilten Aspekten der Wahrnehmung zum Zusammenwirken des Ganzen und von weniger umfassenden Ebenen des Daseins zu umfassenderen, höher schwingenden. Das ist hier nicht esoterisch gemeint, sondern bezieht sich zunächst einfach darauf, dass Zusammenhänge von natürlichen Systemen immer subtiler werden, umso umfassender wir sie betrachten, umso mehr Ebenen und Faktoren wir in unsere Betrachtung miteinbeziehen.

Umso ganzheitlicher wir unsere Betrachtung und Wahrnehmung natürlicher Systeme gestalten wollen, umso mehr brauchen wir dazu spirituelle und magische Erklärungsmodelle, wir brauchen also ein magisches und spirituelles Verständnis der Welt, weil wir nur in einem solchen Erklärungen für subtile und umfassende komplexe Zusammenhänge von Ereignissen und Gleichgewichten finden können. Das soll uns natürlich nicht dazu führen, die Wirklichkeit durch Phantasien zu ersetzen oder auf jegliche rationale und plausible Ableitung des Geschehens um uns zu verzichten.

Magie und Spiritualität gehorchen ebenfalls einer ihnen innewohnenden Rationalität, und eine gute Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Scharlatanerie und wirklichem spirituellem und magischem Wissen ist die Bereitschaft zur Überprüfung, Demonstration und rationalen Erklärung der Phänomene und Behauptungen, die eine magisch oder spirituell tätige Person für real annimmt. Es geht also gerade in Zeiten von Meinungsblasen im virtuellen Raum und unbewiesenen Behauptungen nicht um Gläubige und ihre Schamanen, sondern um die Erweiterung der eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten und um stimmige und auch nutzbringend anwendbare Welterklärungen, die das Weltbild der Wissenschaft zwar transzendieren, aber grundsätzlich auch erweitern könnten. Wahrer Forschergeist kann sich ohnehin nicht auf bestimmte Regeln wissenschaftlicher Etikette beschränken, die vorgeben, was wie und wann der wissenschaftlichen Betrachtung würdig ist. Was wir an Phänomenen in der Welt vorfinden, ist in sich wert, Beachtung und unser forschendes Interesse zu finden.

Ich schweife schon wieder ein wenig ab.


Was also ist ein Schamane?

 

Der Schamane ist ein Naturmagier, der sich hingibt. Er beherrscht die Natur nicht, sondern steht vielmehr in einem beständigen Dialog mit ihr.

Er unterwirft sich nicht magische Wesen, um Macht zu erlangen, sondern arbeitet mit seinen Verbündeten und Hilfsgeistern auf Augenhöhe zusammen, auch wenn er im Grunde die Kontrolle über das jeweilige magische Geschehen behalten mag.

Seine Hingabe gilt der Natur und ihren Wesen genauso wie dem Spirit, dem Großen Ganzen Einen Universellen Prinzip. Das ist eher eine Frage der Erfahrung als eine der Gläubigkeit, deshalb ist Schamanismus auch keine Religion im engeren Sinn. Menschen verschiedenster Religionen sind nebenbei im Schamanismus durchaus willkommen, solange sie mit Offenheit und Toleranz für das eigene Erleben und das anderer Menschen gesegnet sind.

Schamanismus ist auch eine Art Orientierungssystem, sowohl in der physischen als auch in der magischen und in der mythischen Welt und auch in der Wildnis.

Schamanismus ist schließlich auch ein wahres System wirksamer magischer Handlungen und Vorstellungen.

In Europa ist eine große Bandbreite an neoschamanischen Richtungen entstanden, welche häufig die magische Tiefe des Schamanismus nicht mehr zu reflektieren vermögen.

Schamanen sind nicht nur schamanisch Praktizierende. Praktizierende Schamanen sind Menschen, denen die Natur zuhört, weil sie Schamanen sind. Handlungen, Gesten, Lieder, Tänze und selbst scheinbar unsinnige Beschäftigungen von Schamanen werden von den Naturgeistern, den Spirits, als schamanisches Ritual interpretiert, sobald der Schamane sie als solche deklariert. Der Schamane ist deshalb ein magisch Kreativer, der keine vorgegebenen Formen einhalten muss, um ein magisch wirksames Ritual zu vollziehen.

Schamanisch praktizieren heißt hingegen, weitgehend schon vorgegebene Formen zu übernehmen, die zwar auch ihren Wert besitzen, denen aber die Ursprünglichkeit und Tiefe magisch kreativen Handelns fehlt, die der Schamane besitzt.

Deshalb muss sich der Schamane einer jahrelangen intensiven Einweihung unterziehen und selbst Teil des Bewusstseins der Wildnis werden.

Das geht nicht im Alleingang. Deshalb brauchen schamanisch Einzuweihende wissende Lehrer. Deshalb kann schamanisch praktizieren erlernt werden, Schamane zu werden muss aber in Form von Einweihungen weitergegeben werden, die auch ihrerseits wieder der Zustimmung der Spirits (oder mit anderem Namen, der Geister) bedürfen.

Ähnliches gilt später für die Entwicklung schamanischer Meisterschaft.

Sowohl Schamane sein als auch schamanischer Meister sein lässt sich definieren, bei Vorhandensein feststellen und jeweils natürlich auch demonstrieren.

Die Wege, die in Europa in den letzten Jahrzehnten zu tieferem schamanischen Wissen geführt haben unterscheiden sich in der äußeren Form voneinander, führen aber schlussendlich jeweils zu einem ganz ähnlichen Ergebnis.

Wir sind Menschen, die Wissen, Magie und spirituelle Heilkraft authentisch und autonom in sich vereinen, mit Erlaubnis der Spirits, diese auch wieder an andere Interessierte weiterzugeben, die Flamme des Wissens in uns Menschen - gerade auch in dieser Zeit heftiger gesellschaftlicher Übergänge - brennend und stark zu halten.


Du hast Schamanismus als Orientierungssystem bezeichnet und dabei speziell über die Bereiche physische Welt, magische Welt, mythische Welt und Wildnis gesprochen.

Kannst Du mehr dazu sagen?

 

In der physischen Welt orientieren wir unser Verhalten als spirituelle Heiler und Schamanen an den Auswirkungen auf die Natur und andere Menschen, ohne den Anspruch von Perfektion. Wir bleiben auch offen für feine Wahrnehmungen und Anzeichen und Vorzeichen, die uns weiterhelfen. Speziell in der Natur aber beispielsweise auch beim Autofahren hilft diese innere entspannte Wachsamkeit enorm.

In der magischen Welt ist es wesentlich zu verstehen, welche Wirkprinzipien jeweils gelten und wie unser spielerisches Verhältnis mit den Kräften und Wesen in dieser und den uns benachbarten Dimensionen sich gestalten soll. Entscheidungen und Konsequenzen von Entscheidungen sind wesentliche Faktoren des magischen Voranschreitens gerade bei fortgeschrittenen Schamanen. Wenn wir mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen nicht ganz zufrieden sind, ändern wir die Entscheidungen so ab, dass wir bessere Konsequenzen erhalten. Die Baraka, ein Begriff aus dem Sufismus, beschreibt die spirituelle Heilkraft, welche einem Ritual entspringt und danach noch zur Verfügung steht. Baraka oder Segen, heilsames Feld oder Transformation auf persönlicher und kosmischer Ebene, Wiederherstellung des Gleichgewichtes in und um die eigene Person und Andere, die uns danach fragen, all das sind beispielsweise sehr gute Richtungen, in die uns unsere Entscheidungen führen sollen.

Tiefenschamanismus, ein Begriff, den ich benütze, um die magische Tiefe des Schamanismus und seine Einbettung in kosmische Zusammenhänge zu betonen, Eigenschaften, die ihn ursprünglich kennzeichnen, Tiefenschamanismus also braucht einen Mythos, ein wirksames und stimmiges magisch-spirituelles Erklärungssystem der universellen Kräfte der Welt. Der Mythos ist normaler Weise zugleich eine Schöpfungsgeschichte, aus der sich der Ursprung des Universums und die magischen Auswirkungen seiner Entstehung auf die jetzige Verfassung der Welt ableiten lassen.

Der Schamane kann mit seinem Verständnis des Mythos die zentralen Kräfte und Gegebenheiten der Welt auf magischer Ebene erfassen und mit ihnen umgehen.

Die verschiedenen Mythen der Schamanen in aller Welt unterscheiden sich, tragen aber dieselben Grundzüge der Welterklärung und der Erklärung der in der Welt wirkenden Magie in sich. Sie sind also alle gleichwertige Beschreibungen des magischen Universums.

Durch diese Verbindung mit dem Mythos der Schöpfung öffnet sich der sogenannte heilige Raum für den Schamanen, in dem seine Handlungen direkt mit den Kräften der Schöpfung kommunizieren.

Wie kommt man als Schamane zur Verbindung mit dem Mythos? Ist sie von alleine da, oder kann man sich den eigenen Mythos sozusagen selbst zusammenstellen?

 

Ein schamanischer Mythos kann nicht einfach erfunden oder zusammengereimt werden.

Er gehört zum archetypischen Wissensschatz der Menschheit, muss aber auch in seinen Feinheiten erlebt und sozusagen vom Schamanen selbst geatmet werden, um wahrhaft und wirksam zu sein. Mythos liegt auf der Ebene der ganzheitlichen, nicht-dualen und holistischen Vision, jeder Teil des Mythos beschreibt das Wesen der Schöpfung.

Durch die Hand der Naturgeister, der Spirits, kann einem Menschen der Zugang zum Mythos eröffnet werden. Eine Möglichkeit dafür ist die holistische Vision. Doch in diesem Fall muss sie zum zukünftigen Schamanen kommen. Man kann das nicht erzwingen.  Die andere Möglichkeit ist, die Einführung in den Mythos zu erhalten, indem Dir Dein Lehrer den Zugang dazu bereitstellt. Das ist Teil meiner Aufgabe als Verwalter des Mythos, den ich von den Spirits bekommen habe.

Der Mythos, mit dem ich arbeite, beschreibt das Funktionieren der Welt auf magischer und spiritueller Ebene. Er ist ein altes Stück Wissen, das mit mir jetzt wiederbelebt, mir von den Geistern wieder zur Verfügung gestellt wurde. Diese Art der Übertragung kommt, soweit ich weiß, nur sehr selten vor.


Jetzt fehlt uns nur noch die Wildnis und wofür die steht.

 

Die Wildnis ist einerseits unser wirkliches Reservoir für unsere eigene Wildnis-Seele.

Sie reflektiert unser ungebrochenes ungezähmtes unverstelltes Sein.

Der Schamane wird selbst im Lauf seiner Einweihung zu einem Teil der Wildnis, verbindet sein Nagual mit ihrem Nagual, seinen Kraftkörper, seinen magischen Wesensteil, mit ihrer Unendlichkeit, ihrer Schwingung des Unfassbaren.

Das Unfassbare der Wildnis und das Unfassbare im Schamanen verschmelzen also schließlich in der Art, dass der Schamane von den Spirits und speziell den Hütern der Natur selbst in seinem magischen Sein der Wildnis zugerechnet wird, er ist, magisch betrachtet, nicht mehr Teil der normalen menschlichen Gemeinschaft, sondern ein Stück an die Menschheit geliehene Wildnis, das in der Menschheit, seiner menschlichen Umgebung, lebt und zugleich in der Wildnis existiert. Der Schamane kann dadurch zwischen den geistigen und magischen Kräften von Wildnis und menschlicher Zivilisation vermitteln, weil er Anteil an beiden Welten hat. Der Schamane orientiert sich also gleichermaßen an den magischen Gesetzen der Wildnis wie an der menschlichen Ordnung, und hält gekonnt die Balance zwischen beiden.

Dieser eigentliche und wahrhaftige Begriff des Schamanen hat natürlich nichts mit den seltsamen Zuschreibungen zu tun, welche wir in letzter Zeit in Medien über Schamanen finden.

Lass mich hier noch einmal zusammenfassen, was für mich Schamanismus als Orientierungssystem beinhaltet:

Der Begriff Schamane wird leider in unserer Kultur in letzter Zeit abgewertet. Schamanen wird sowohl fehlendes klares Denkvermögen als auch ein Bezug zum rechtsextremen Rand der Gesellschaft zugeschrieben. Natürlich gibt es Beispiele für sogenannte Schamanen, auf die solche Behauptungen zutreffen. Doch diese Abwertung von Schamanen ist grundsätzlich falsch, wenn wir von jenen Menschen sprechen, die sich wahrhaftig dem Schamanismus widmen.

Wahre Schamanen sind weder rechtsstehend noch rechtsextrem, weil uns als spirituelle Heiler das Mitgefühl und die Balance zwischen Natur, Mensch und Spirit mit seiner Heilkraft zu nahe stehen, um uns mit rechten Ideologien und ihrer Unmenschlichkeit anfreunden zu können.

Wir sind nicht irrational oder fern jeglicher Logik, keine grundsätzlichen Gegner von Wissenschaft und auch keine Vertreter radikaler gesellschaftlicher und gesundheitlicher Positionen, wenn mit radikal hier nicht der Blick auf das Grundsätzliche sondern das Wort extrem gemeint ist. Extrem bezieht sich auf Denken, Fühlen und Handeln ohne vernünftige Grundlage, ohne Mitgefühl, nur auf Grund von Vorurteilen.

Der eigentliche Schamane vertritt genau das Gegenteil dieser Haltung.


Kannst Du uns ein Beispiel dafür geben?

 

Ein gutes Beispiel dafür aus unserer jüngsten Vergangenheit wäre die Haltung von Schamanen zu Corona und dem Thema Impfung.

Einige der tief in den Schamanismus eingedrungenen Menschen in Europa haben sich im Zusammenhang mit Corona impfen lassen, sich aber vielleicht nicht allein auf die wissenschaftliche Ebene des Vorgehens verlassen.

Ich habe beispielsweise bei vielen Menschen nach Impfungen gegen Corona eine nachträgliche Harmonisierung der Impfung mit den natürlichen Heilkräften des Körpers vorgenommen und siehe da, bei allen Beteiligten verschwanden schlagartig nach einer einzigen kurzen schamanischen Behandlung sämtliche Nebenwirkungen der Impfung ohne dass natürlich deshalb die Wirkung der Impfung beeinträchtigt worden wäre. Rein naturwissenschaftlich betrachtet war da selbstverständlich gar nichts zu tun, weil die Impfung ja ohnehin nach wissenschaftlicher Meinung zumeist nur zu kurzfristigen Impfreaktionen geführt hätte. Außerdem gäbe es aus wissenschaftlicher Sicht auch keine Möglichkeit, die Impfungen harmonisch in den Körper einzubetten. Da ich mich jedoch nicht an diese Sicht gebunden fühlte, nützte ich schamanisches spirituelles Heilen mit meinen Klientinnen und Klienten und bekam dann jedes Mal, auch von zunächst ganz skeptischen Personen, die Rückmeldung, dass sämtliche teilweise recht unangenehme Beschwerden jetzt aufgehört hätten.

Wissenschaftlich gebildete Menschen dürfen das gern als Placebowirkung erklären. Meine Ansicht dazu bewegt sich in die Richtung: Wer heilt hat Recht. Mündige erwachsene Personen dürfen ja auch eine andere Weltanschauung als die des Neomaterialismus einmal ausprobieren und ihre eigenen Erfahrungen damit machen.

Wir stehen wie oben erwähnt, einer viel komplexeren Welt gegenüber als wir im Allgemeinen glauben. Schamanismus als Orientierungssystem gibt uns in dieser komplexen ursprünglichen Ordnung der Dinge eine Möglichkeit zu ganzheitlicher Betrachtung.

Wahre Schamanen stiften Sinn mit ihrem Denken, Handeln und Wissen, weil sie die Hüter von Harmonie, Gleichgewicht und Mäßigung gegenüber unserer natürlichen Umwelt sind, weil sie die Beziehung des Menschen zu einer ihm spirituell gleichwertigen Natur betonen und die Verantwortung und Wirksamkeit des Einzelnen wieder erkennen. Darüber hinaus führt die Hingabe an den Weg der Kraft zu einem tief befriedigenden Lebensgefühl von innerem in sich Ruhen.

Das alles zeigt uns die Weisheit des Schamanismus.